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14. September 2021
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Florian Kern

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Geldbrief

Finanzmärkte sind keine Luftballons – Wie sich die Geldpolitik auf Vermögenspreise auswirkt

8 min Lesezeit

Florian Kern

In den Medien finden sich häufig Formulierungen wie „die Zentralbank pumpt Geld in die Märkte“. Hinter diesen Formulierungen steckt die Idee, dass Finanzmärkte wie Luftballons funktionieren. „Pumpt“ die Zentralbank durch den Ankauf von Wertpapieren zusätzlich Geld in die Märkte, steigen nach dieser Logik die Preise, da das „Geld ja irgendwo hin müsse“.

Im Folgenden erklären wir, wieso die Vorstellung von Finanzmärkten als Luftballons und Zentralbankgeld als Luft, die Preise aufbläst keine vereinfachte, sondern eine falsche und irreführende Beschreibung ist. Statt durch Geldfluten beeinflusst die Zentralbank Vermögenspreise über Zinsen und die Absenkung langfristiger Zinsen und Risikoprämien durch Anleihenkäufe.

„Aber wo geht denn das ganze Geld hin?“

Richtig ist, dass es im Eurosystem mittlerweile mehr Zentralbankgeld gibt als noch vor der Finanzkrise. Das wird oft so dargestellt, dass die Zentralbank dieses Geld „in Umlauf bringt“ und so entsteht die falsche Vorstellung, dass das Geld dann eben irgendwie „in die Finanz- oder Immobilienmärkte“ fließe. Das stimmt jedoch nicht (wie hier auch bei der Bundesbank nachzulesen).

Zentralbankgeld fließt nicht in Finanzmärkte, sondern liegt auf Konten der Geschäftsbanken

Kauft die Zentralbank von einer Geschäftsbank Staatsanleihen, schreibt die Zentralbank der Geschäftsbank den entsprechenden Betrag auf ihrem Zentralbankkonto gut. Kauft die Zentralbank von einer Nicht-Bank, zum Beispiel einer Versicherung, dann ist das begünstigte Konto das der Hausbank der Versicherung. Egal welche Entscheidungen nun von privaten Akteuren getroffen werden: Das so geschaffene Geld bleibt auf Zentralbankkonten und fließt immer von einer Bank zur anderen.[1] Zentralbankgeld kann daher auch nicht in irgendwelche Märkte „abfließen“ und dort „Preise aufblähen“. Finanzmärkte sind kein Luftballon. Wenn eine Zentralbank etwa bald auslaufende Schuldverschreibungen des Staates aufkauft, sogenannte Bills, dann gibt es absolut keinen Grund zur Annahme, dass diese Maßnahme irgendwelche Auswirkungen auf Vermögenspreise hätte.

Um zu verstehen, wie Geldpolitik auf Vermögenspreise wirken kann, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass der Wert von Finanzanlagen sich als Barwert zukünftiger Zahlungsrückflüsse bestimmen lässt.[2]

Es geht nicht um Luft im Luftballon, sondern um den Wert unseres Esels im Vergleich zu anderen Vermögensanlagen

Stellen wir uns vor uns gehört ein Esel, der jedes Jahr zum Jahreswechsel 1000 Euro ausspuckt. Unser Esel ist aber noch besser als in Grimms Märchen, denn er ist durch göttliche Intervention unverwundbar, unsterblich und braucht keine Nahrung. Mit anderen Worten: Seine Auszahlungen sind frei von Kosten und Risiken. Die ersten beiden Jahre nach der göttlichen Intervention nutzen wir die 1000 Euro noch, um in den Urlaub zu fahren, aber nun würden wir eigentlich gerne eine Wohnung kaufen und brauchen dafür einen Eigenkapitalanteil. Abgesehen vom Esel verfügen wir leider über keine Vermögenswerte, sodass wir überlegen, den Esel zu verkaufen.

Welchen Preis sollen wir also nun für den Esel verlangen? Oder anders gefragt: Was ist der Wert einer ewigen jährlichen Zahlung von 1000 Euro, stand heute? Die Antwort auf diese Frage hängt elementar von den aktuellen Zinssätzen ab. Liegt der Zins für eine risikolose Anlage (das Ausspucken der 1000 Euro durch unseren Esel ist ja ebenfalls risikofrei) pro Jahr etwa bei 5%, dann müsste man 20 000 Euro anlegen, um jedes Jahr 1000 Euro zu erhalten. In diesem Fall würde etwa kaum jemand mehr als 20 000 Euro für unseren Esel bezahlen wollen. Liegt der Zinssatz jedoch nur bei 1% über alle Laufzeiten, dann steigt der Wert unseres Esels bereits auf 100 000 Euro. Je geringer die Zinsen sind, desto mehr sind also Vermögenswerte wert, die regelmäßige Zahlungen versprechen. Aus dem gleichen Grund steigen die Preise von Immobilien, wenn „die Zinsen“, und damit sind normalerweise die Zinsen auf ausfallrisikofreie Anlagen wie US-Staatsanleihen gemeint, fallen: Die Einnahmen, die durch die Vermietung von Immobilien erzielbar sind, sinken ja nicht, wenn die Zinsen auf Staatsanleihen fallen. Die Hausbesitzerin, die jedes Jahr 10.000 Euro an Mieteinnahmen verdient, steht nun besser da als vorher im Vergleich zum Käufer von Staatsanleihen, die ihm heute nur noch 0,5% statt 1% bringen. Ergo steigt der Wert der Mieten heute und damit der Wert der Immobilien, weil die Immobilie nun im Vergleich zu anderen Vermögensanlagen rentabler geworden ist.[3]

Wie beeinflusst die Zentralbank nun den Wert des Esels (und Vermögenswerten generell)?

Die Zentralbank kann den Wert des Esels nur über Zinssätze und Risikoprämien beeinflussen. Wie viel Zentralbankgeld auf Konten der Geschäftsbanken liegt, ist für den Wert des Esels – erstmal irrelevant. Wenn die Zentralbank aber etwa erklärt, dass die Zinsen längere Zeit niedrig bleiben werden, dann sinkt der (erwartete) Zinssatz. Wenn die Zentralbank relativ riskante Wertpapiere kauft, zum Beispiel Unternehmensanleihen, dann kann das dazu führen, dass die Verkäufer der Anleihen in riskantere Vermögenswerte (z. B. Immobilien) investieren und so die Risikoprämien (also den Preis, den Investoren für die Inkaufnahme von Risiken verlangen können) sinken.

In unserem Beispiel mit dem Esel gehen wir auch davon aus, dass die Zinsen über alle Jahre gleich sind. Wenn die Zinsen für Vermögensanlagen mit langer Laufzeit, z.B. 30 jährigen Bundesanleihen, aber höher sind als für Vermögensanlagen mit kürzerer Laufzeit, z.B. 5 jährigen Bundesanleihen , etwa weil Investoren wegen des Risikos von Zinsänderungen eine Kompensation dafür verlangen, dass sie sich so lange an einen Zins binden, dann kann die Zentralbank durch den Kauf längerfristiger Anleihen auch darauf hinwirken, dass diese längerfristigen Zinsen sinken. Anleihekäufe tragen also durchaus in einem gewissen Maß zum Anstieg von Vermögenswerten bei. Allerdings ist dieser Anstieg lediglich durch den Einfluss der Ankäufe auf Zinsen und Risikoprämien bedingt.

Die Tatsache, dass Zentralbanken mit sehr viel Zentralbankgeld, dass nun auf Konten der Geschäftsbanken liegt, Vermögenswerte angekauft haben, hat also nicht an sich die Vermögenspreise erhöht. Insbesondere gibt es keinen linearen Zusammenhang zwischen dem Geld, dass die Zentralbank geschaffen hat, und Vermögenspreisen (zum Beispiel Aktienkursen, Esel- oder Immobilienpreisen). Ein akkurates Bild solcher Wirkmechanismen ist eine zentrale Voraussetzung für demokratische Systeme, deren Legitimität auch auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger beruht.[4]

Wenn stattdessen der Eindruck entsteht, die Zentralbank würden sehenden Auges eine Blase produzieren, fragen sich Lesende zurecht, ob eine unabhängige Zentralbank überhaupt zu solchen Maßnahmen legitimiert ist. Tatsächlich aber ist Geldpolitik in erster Linie Zinspolitik: Es geht um die Veränderung kurzfristiger und langfristiger Zinssätze, um damit Einfluss auf die aggregierte Nachfrage und Preise zu nehmen. Zwar hängt der Wert von Vermögenspreisen, wie wir gezeigt haben, von Zinssätzen und Risikoprämien ab und kann daher von Maßnahmen der Zentralbank beeinflusst werden. Aber bei der Wertänderung handelt es sich eben nur um eine Nebenwirkung der Geldpolitik.[5]

Wer hiervon abweichende Bilder produziert, die suggerieren, die Zentralbank würde die “wahren Preise” manipulieren, der löst damit Ängste aus und trägt zur Erosion von Vertrauen in Institutionen bei. Please don’t do it and make the donkey happy 🙂


Fußnoten

[1] Aus dem gleichen Grund können Banken im Aggregat auch nie vor negativen Zinsen „flüchten“. Wenn eine Bank es schafft, durch einen Kredit seine Guthaben bei der Zentralbank zu reduzieren, muss das Geld zwangsläufig die Guthaben anderer Banken erhöhen. Vgl. z.B die Leiterin der Geldpolitischen Implementierung der New York Fed in einer Rede im April 2021 : „Although individual banks can take steps to limit growth in their own reserve balances, reserves in aggregate cannot fall unless they are absorbed by other Federal Reserve liabilities or Federal Reserve assets decline.”

[2] In einem kommenden Post werden wir uns mit der Frage beschäftigen, unter welchen Umständen Vermögenspreise von ihrem fundamentalen Wert abweichen können.

[3] Man kann den heutigen Wert des Esels auch wie folgt ausdrücken:

Wert des Esels= (Ausgespucktes Geld pro Jahr)/(Zinssatz in Prozent)

In unserem Beispiel ist der Esel bei einem Zinssatz von 5% 1000 Euro durch 0,05= 20.000 Euro wert. Wenn wir uns nun vorstellen, dass der Esel etwas launischer ist und in manchen Jahren kein Gold ausspuckt, dafür aber in anderen Jahren doppelt so viel, dann könnte es sein, dass Investoren für das Risiko, dass sie in manchen Jahren kein Geld erhalten, eine Risikoprämie verlangen, beispielsweise von zwei Prozent. In diesem Fall würde die Risikoprämie auf den Zinssatz aufgerechnet und der Esel wäre nur noch 1000 Euro durch (0,05+0,02) = 14.287 Euro wert. Der Wert des Esels würde sich wie folgt bestimmen lassen:

Wert des Esels = (Ausgespucktes Geld pro Jahr)/(Zinssatz in Prozent+Risikoprämie in Prozent)

[4] Aus diesem Grund haben unter anderem die Bundesbank und die Bank of England detaillierte Erklärungen zu Geldschöpfung publiziert. Die amerikanische Federal Reserve stellt sogar Videos zur ökonomischen Bildung zur Verfügung, in denen der ehemalige Präsident der Notenbank, Ben Bernanke erklärt, „tatsächlich druckt die Fed kein Geld, um die Wertpapiere zu erwerben“ (Vorlesung 4).

[5] Wer aus irgendwelchen Gründen gerne höhere Zinssätze hätte, der sollte daher Politik befürworten, die auf anderen Wegen zu einer Stimulation der aggregierten Nachfrage führt – etwa expansive Fiskalpolitik durch höhere Staatsausgaben oder niedrigere Steuereinnahmen. Vgl.: https://twitter.com/Isabel_Schnabel/status/1307802054279258112?s=20

Unsere 1O1s sind verständliche Einführungstexte zu Themen, die regelmäßig in der wirtschaftspolitischen Debatte vorkommen. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an florian.kern[at]dezernatzukunft.org

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