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29. Mai 2020
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Dezernat Zukunft

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Die privatisierte Weltwährung: der US Dollar und das internationale Währungssystem – Steffen Murau im Interview mit dem Dezernat Zukunft, Teil 1

6 min Lesezeit
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MATHIS RICHTMANN

Steffen Murau (@steffenmurau) ist Politischer Ökonom und Forscher am Global Development Policy Center der Boston University.

Die gegenwärtige Struktur der Weltwirtschaft wird immer wieder mit einer „Dominanz des US-Dollars“ in Verbindung gesetzt. Wie bewertest du diese Bezeichnung?

Aus der Geschichte kennen wir verschiedene Formen des internationalen Währungssystems, wie z.B. den Goldstandard oder das Bretton Woods System. Für das heutige internationale Währungssystem gibt es bislang keine gute Bezeichnung, auch weil es politisch ungeplant und konzeptionell weitgehend unverstanden ist. In einem Artikel, den zwei Co-Autoren und ich gerade im Journal of Institutional Economics veröffentlicht haben, schlagen wir das Label „Offshore US-Dollar System“ vor. Damit wollen wir ausdrücken, dass der US-Dollar in der Tat eine dominante Stellung hat, aber eben als Währung, die außerhalb der USA nicht nur genutzt, sondern auch erzeugt wird.

Die Strukturen des Offshore US-Dollar Systems beruhen in erster Linie auf privaten Institutionen. Diese haben sich seit den 1950er Jahren entwickelt durch den sogenannten Eurodollarmarkt, wobei „Euro“ hier nur ein altmodisches Wort für ‚offshore‘ ist. Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems zu Beginn der 1970er Jahre haben diese privaten Offshore-Märkte die Funktionen des globalen Währungssystems übernommen.

Was genau muss man sich unter „offshore“ hier vorstellen?

„Offshore“ bedeutet hier, dass Giralgeld und andere Finanzprodukte wie Anleihen in US-Dollar denominiert geschöpft werden, aber außerhalb der USA. Das mag unintuitiv klingen. Man geht davon aus, der Dollar sei als Währung der USA nur auf die USA beschränkt. Tatsächlich ist der US-Dollar aber in erster Linie eine nominelle Recheneinheit, die auch verwendet werden kann, wenn man außerhalb der USA ist. Worüber wir reden, sind letztlich alles Buchungssätze in irgendwelchen Bilanzen. Die Frage ist, wo eine Finanzinstitution rechtlich angesiedelt ist. Wenn eine Institution ihre Finanzinstrumente in US-Dollar denominiert, aber rechtlich nicht in den USA sitzt, dann hat sie oft mehr Spielraum und kann Regulierungen umgehen.

Wenn wir nun wieder über die Dominanz des US-Dollars reden, geht es aus meiner Sicht in erster Linie darum, inwieweit der Dollar als Recheneinheit für Bilanzoperationen außerhalb der USA verwendet wird. Da ist der US-Dollar unangefochten die globale Schlüsselwährung („key currency“). Der häufig verwendete Begriff Reservewährung trifft es dabei nicht wirklich. Dieser zielt darauf ab, welche Währungen Zentralbanken als Devisenreserven halten, was traditionell wichtig ist, um die Wechselkurse zu beeinflussen. Dies war im Bretton Woods System essenziell, als Zentralbanken ein festes Wechselkurssystem aufrechterhalten und mit ihren Währungsreserven als Alltagsgeschäft im Devisenmarkt intervenieren mussten. Im heutigen Offshore US-Dollar System mit flexiblen Wechselkursen zwischen den Leitwährungen geht es vielmehr darum, welche Recheneinheit private Institutionen für globale Kreditvergabe und in globalen Lieferketten verwenden. Das ist der springende Punkt, wenn wir über die Internationalisierung einer Währung reden.

Wenn die Geldschöpfung von US-Dollars offshore eine so zentrale Rolle spielt, in welchem quantitativen Verhältnis stehen offshore und onshore US-Dollars?

In welchem Ausmaß in US-Dollar denominierte Instrumente offshore geschöpft werden, lässt sich nur sehr schwer messen. Die wichtigste Institution, um das Offshore US-Dollar System empirisch zu untersuchen, ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Deren Forscher haben Zugang zu den Daten und beeindruckende Zahlen dazu, aber selbst deren Wissen über die Offshore-Welt ist begrenzt. Je nachdem wie Du Offshore-Dollar definierst, übersteigt das Volumen von Offshore-Dollars das der Onshore-Dollars. Es gibt unterschiedliche buchhalterische Standards, die Qualität des Reporting variiert und bei weitem nicht alle Dollar-Instrumente werden überhaupt bei der Bilanzierung erfasst. Ein Beispiel hierfür sind Foreign Exchange Swaps, die man auch als offshore US-Dollar Instrumente interpretieren kann, aber die buchhalterisch als Derivate angesehen und nicht in Bilanzen erfasst werden.

Ist die aktuelle Finanzkrise, die im Zuge der COVID-19 Pandemie ausgebrochen ist, auch eine Krise des internationalen Dollars?

Es ist vor allem eine Krise im Offshore US-Dollar System. Globale Lieferketten, die in vielen Sektoren durch Offshore-Dollars finanziert werden, sind zusammengebrochen. Das bedeutet Einnahmeausfälle und Unternehmen, die ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Das wiederum bringt internationale Banken in Schieflage, die Kredite in Offshore-Dollars vergeben haben. Diese bekommen nicht nur keine Kredittilgung, sondern müssen tendenziell mehr Offshore-Dollars verleihen, um den Unternehmen über die Runden zu helfen.

Hätten diese Banken die Kredite in ihrer lokalen Währung vergeben, könnten sie sich an ihre nationale Zentralbank wenden, die dann in dieser lokalen Währung Überbrückungskredite vergeben würde. Da die Banken aber US-Dollar brauchen, können die nationalen Zentralbanken bestenfalls ihre eigenen Dollarreserven verleihen. Die sind aber in den seltensten Fällen ausreichend in größeren Krisen. Die einzige Zentralbank, die wirklich unbegrenzt US-Dollars als Notfallliquidität schöpfen kann, ist die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed). Diese wiederum darf aber nicht in direkte Interaktion mit privaten Banken außerhalb der USA treten. Das ist ein zentrales strukturelles Problem im globalen Offshore US-Dollar System.

Seit 2008 hat die Fed angefangen, in Krisen in großem Umfang US-Dollars an andere Zentralbanken zu verleihen durch sogenannte Swap Lines. Die Zentralbanken können so ihre Dollarreserven auffüllen und diese an ihre nationalen Banken weiterverleihen, die temporär Unterstützung von der Zentralbank brauchen. Jetzt gerade passiert das wieder in massivem Umfang. Da die Maßnahmen der Fed im Moment greifen, ist es also noch keine Krise des Offshore US-Dollar Systems.

Die Frage ist aber, wie lange die Fed das machen kann, ohne in Konflikt mit der US-Regierung zu geraten. Präsident Trump versucht ja schon lange, mehr Einfluss auf die Fed auszuüben. Chairman Powell ist ihm ein Dorn im Auge. Wenn sich der medizinische Notstand etwas legt, die Konsequenzen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise aber bleiben, gilt es abzuwarten, wie sich das auf die internationalen Aktivitäten der Fed auswirkt. Denn ihr Mandat ist rein national. Mit ihren Aktivitäten ist sie klar am Rande dessen unterwegs, wozu sie rechtlich beauftragt ist.

Wie wir also derzeit sehen, kontrolliert die US-Zentralbank Federal Reserve das globale Angebot an US-Dollar?

Die Fed „kontrolliert“ das Angebot insofern, als sie in der Krise Notfallkredite vergibt. Das sind die Momente, wenn die global operierenden und Offshore-Dollar schöpfenden Finanzinstitutionen auf die Fed angewiesen sind. Außerhalb von Krisenzeiten hat die Fed nur begrenzte Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, was die privaten Offshore-Institutionen machen. Sie kann dazu beitragen, das Feuer zu löschen, wenn es brennt. Aber sie kann nicht wirklich viel zur Feuerprävention beitragen. Das würde ein Ausmaß an Kooperation im internationalen Währungssystem erfordern, das es derzeit nicht gibt.

Es hätte anders kommen können: Anfang der 1970er Jahren gab es internationale Verhandlungen dazu, Offshore-Geldschöpfung stärker zu regulieren. Damals wurden Konzepte entwickelt, die sehr weit ausgereift waren. Diese wurden aber nicht umgesetzt. Man konnte sich nicht einigen, bei der Regulierung von Offshore-Geldschöpfung an einem Strang zu ziehen. Als dann das Bretton Woods System kollabiert ist, haben die Zentralbanken stattdessen die privaten Institutionen hofiert, um schnell ein alternatives, allerdings privatisiertes, internationales System bereitzustellen.

Sehr wahrscheinlich haben die Zentralbanken damals sogar implizite Kreditgarantien für Banken vergeben, die sich an Offshore-Geldschöpfung beteiligen, um das neue System zu stützen. Aus dieser Perspektive kann man durchaus eine Kontinuität erkennen von den impliziten Garantien in den 1970ern bis hin zu den Swap Lines der Jahre 2008 und 2020. Offensichtlich war es leichter, private Offshore-Geldschöpfung ex post zu stabilisieren als sie öffentlich und international ex ante zu regulieren. Nur in akuten Krisen kann man durchregieren.

Teil 2 des Interviews, in dem es um Perspektiven für die Internationalisierung des Euros geht, erscheint nächsten Freitag.

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